Sexualität & Aufklärung
28. Mai 2021
·
15 Minuten Lesezeit

Aufklärung ab 6 Jahren: Wie rede ich mit Volksschulkindern über Sexualität?

Geschrieben von:
Alles klar?! Ein digitales Aufklärungsprojekt
Alles klar?! Ein digitales Aufklärungsprojekt
Artikelinfo:

Was man über die sexuelle Entwicklung im Alter von 6 bis 11 Jahren wissen sollte. Wie Eltern auf das Ausleben sexueller Empfindungen gut reagieren. Und: welche Fragen bei Kindern in diesem Alter aufkommen und wie man passende Antworten findet, erfahren Sie im folgenden Artikel. 

Was passiert in der sexuellen Entwicklung von Kindern?

Die sexuelle Entwicklung ist ein Prozess, der vor der Geburt beginnt und erst mit dem Tod endet. Es gibt in der Kindheit und Jugend verschiedene Phasen, die immer individuell von Kindern und Jugendlichen durchlaufen werden. Für jede Phase gibt es aber auch einige bestimmte Merkmale, die aufeinander aufbauen. 

 

In diesem Alter entwickelt sich das Regelbewusstsein. Das bedeutet, dass vermehrt soziale Regeln erkannt und eingehalten werden. Kinder beginnen gesellschaftliche Vorgaben kognitiv zu erfassen und wiederholen diese, um als Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Dies zeigt sich häufig bei Rollenstereotypien. Positiv ist, wenn Eltern als Vorbilder abseits von Rollenzuschreibungen agieren.1

 

Kinder entwickeln zunehmend eine kognitive Idee von sich selbst, dies bezieht sich auch auf den eigenen Körper, die Persönlichkeit und bestimmte Fähigkeiten. Je offener und positiver die Rückmeldungen der Erwachsenen sind, desto positiver sieht sich das Kind.1

 

Am wichtigsten für die sexuelle Entwicklung sind jedoch Bewegungserfahrungen. Diese fördern die körperliche Wahrnehmungsfähigkeit, welche Voraussetzung dafür ist, um die eigenen Körpergrenzen zu spüren.1

 

Kinder nehmen außerdem Werthaltungen von Erwachsenen wahr und entdecken oft mit dem Eintritt in die Schule, dass es soziale Tabus bezüglich Sexualität gibt.1

 

 

Das Bedürfnis, auf kognitiver Ebene menschliche und gesellschaftliche Vorgänge zu verstehen wird zwischen 6 und 11 Jahren immer größer. Kinder brauchen daher auch kognitive Informationen zum Thema Sexualität in Form von Büchern, Broschüren und/oder Gesprächen. 1

 

Ab etwa der dritten Klasse Volksschule passieren erste hormonelle und körperliche Entwicklungen in Richtung Pubertät. Wann diese genau beginnen, ist bei jedem Kind unterschiedlich. Bei Mädchen können erste Veränderungen ab ca. 9 Jahren und bei Buben ab 10 Jahren beginnen.2

 

Es gibt Menschen mit dem Normgeschlecht Frau und dem Normgeschlecht Mann. Dazwischen gibt es aber auch Menschen, die intergeschlechtlich sind und aus diesen starren Schemata herausfallen. Das kann auf genitaler, hormoneller, gonadaler (Eierstöcke/ Hoden) und chromosomaler Ebene sein. Unterstützung für einen positiven Umgang mit körperlicher Vielfalt finden Sie hier.2

Reflexionsfrage:

Welche Erinnerungen habe ich an meine eigene Kindheit in diesem Alter?

Reflexionsfrage:

Gibt es sexuelle Themen, die mir unangenehm sind? Wie kann ich meine Grenzen ernst nehmen und mein Kind trotzdem gut informieren?

Reflexionsfrage:

Welche gesellschaftlichen Tabus in Bezug auf Sexualität kenne ich?

ÜBER DIE REFLEXIONSFRAGEN

Sicher sind Ihnen schon unsere Reflexionsfragen aufgefallen. Wir wollen Sie mit den Fragen einladen, über Ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle nachzudenken. So können Sie die Situation Ihres Kindes besser verstehen. Aber auch eigene, vielleicht einschränkende, Einstellungen und Haltungen hinterfragen. 

 

Bereiten Sie sich für die Übungen einen Stift und Papier vor. Wählen Sie einen ruhigen Moment an einem Ort, wo Sie sich ungestört fühlen. Nehmen Sie einen tiefen Atemzug und schreiben Sie Ihre Gedanken zu den von uns gestellten Fragen für sich selbst auf.

Beobachtungen zur sexuellen Entwicklung, die Eltern machen Können

Was
bedeutet das

im Alltag?

  • Sexuelle Handlungen werden versteckter, weil Kinder erkennen, dass sie sozial vor anderen nicht erwünscht sind. Was im Kindergarten noch häufig beobachtet werden kann, wird jetzt eher im Geheimen und alleine gemacht.1

  • Da Rollenstereotype gelernt werden, finden Kinder es jetzt auch oft interessant, mit Gleichaltrigen und Geschwistern „Sexualität“ zu spielen: also Küssen, Heiratszeremonie oder auch simulierter Geschlechtsverkehr. Hier greifen Kinder gesellschaftliche Rollenstereotype auf, wie dass zB meistens dargestellt wird, dass Mann und Frau heiraten.2

  • Sie können als Eltern erste Annäherungsversuche Ihres Kindes an Freund*innen beobachten. Dieses Interesse zeigt sich oft auch durch Sekkieren/ Ärgern des/der Freund*in. 1

  • Ob sich ihr Kind sexuell für Burschen oder für Mädchen interessiert, ist grundsätzlich offen. Es ist daher wichtig auch offen damit umzugehen. Es ist wichtig, dass Kinder Bücher besitzen, wo unterschiedliche Beziehungsformen vorkommen und dass nicht automatisch angenommen wird, dass sie heterosexuell sind.1
  • Soziale Tabus: Kinder nehmen jetzt wahr, dass Personen mit Sexualität unterschiedlich umgehen. In einigen Familien wird vielleicht viel offener mit Sexualität umgegangen als in anderen. Das kann dann auch zu Verwirrung oder unangenehmen Situationen führen.2

Die Art, wie Kinder versuchen, Aufmerksamkeit zu bekommen, hängt stark davon ab, wie sie bisher gelernt haben, Beachtung zu finden.

Reflexionsfrage:

Welche Zuschreibungen zu Rollenbildern habe ich?

Reflexionsfrage:

Was ist für mich typisch weiblich/männlich?

Wie umgehen mit Verliebtheit?

Verliebtheitsgefühle und erste Faszination für andere Personen kommen im Kindergartenalter schon vor. Im Volksschulalter haben sie aber eine andere Bedeutung. Davor kann Verliebtheit auf jeden (Oma, Papa, Kindergärtner...) gerichtet sein und ist oft auch nur auf den Moment bezogen.1

Gut
zu
WISSEN...

Kindliche Sexualität - ganz anders als die von Erwachsenen

Die kindliche Sexualität entwickelt sich von klein an und unterscheidet sich von der Erwachsenen-Sexualität. In der kindlichen Sexualität spielt das Erforschen des Körpers im hier und jetzt eine  wesentliche Rolle. Das dabei empfundene Lustgefühl ist nicht mit dem sexuellen Lustempfinden Erwachsener vergleichbar. Dies setzt erst mit der Pubertät ein.

 

In Kombination mit der Entwicklung des Regelbewusstseins wird das sexuelle Verhalten an soziale Rahmenbedingungen angepasst und „hinter abgeschlossener Zimmertür“ erlebt. 1

 

Im Spiel werden Aspekte der Erwachsenensexualität imitiert. Im Laufe der Volksschulzeit entwickelt sich mit dem Beginn der Pubertät langsam die erwachsene Sexualität, indem die Kinder erste erwachsene Phantasien entwickeln.2

Tipp

Manchmal kommt es vor, dass auch ältere Kinder in der Öffentlichkeit masturbieren. Wie können Sie reagieren?

 

Die meisten Kinder entwickeln im Alter von 6-11 Jahren ein Regelbewusstsein, weshalb sie nicht mehr in der Öffentlichkeit masturbieren. Tun Kinder dies doch, wird es oft von anderen Kindern und Erwachsenen als unerwünschtes Verhalten erlebt. Manche Kinder masturbieren trotzdem, weil es eine wichtige Möglichkeit zum Stressabbau darstellt.1

 

Hier kann es hilfreich sein, andere Möglichkeiten der Emotionsregulation anzubieten, etwa durch körperliche Bewegung. In der Schule könnte jede Unterrichtsstunde mit einer kleinen Bewegungseinheit beginnen. Die Sorge, dass Kinder dann zu unruhig werden, ist unbegründet – Kinder sind durch den Abbau von Energie danach eher konzentrierter. Eine andere Möglichkeit ist es, dem Kind einen Sitzball zu geben, der nur halb mit Luft gefüllt ist. So kann das Becken auch bewegt werden.1

Gymnastikbälle

Wie rede ich mit meinem Kind über Sexualität?

Kinder in diesem Alter sind neugierig und wissbegierig. Sie beginnen jetzt auch, immer mehr Fragen zu stellen. Während im Kindergartenalter noch eher der eigene Körper im Mittelpunkt des Interesses stand, haben Schulkinder ganz viele Fragen zur Sexualität. Fragen können sein: Wie funktioniert Sex? Was ist die Regel? Was ist ein Kondom? Wie sieht der Penis/ die Vulva aus? Was ist lesbisch oder schwul?2

  • Am besten, Sie beantworten die Fragen ehrlich und altersgerecht, wenn Ihr Kind sie stellt. Denken Sie dabei daran, auch die Lustwahrnehmung einzubeziehen. Lustwahrnehmung ist ein wichtiger Aspekt, um sich in seiner Sexualität gut spüren zu können. Auch in der kindlichen Sexualität werden Lustgefühle empfunden. Darüber zu reden ist wichtig. Zum Beispiel kann man sagen: Wenn man sich am Penis oder der Vulva/Vagina anfasst, kann es angenehme Brizzelgefühle machen.1,2

  • Kinder entdecken jetzt auch die Lust auf obszöne Redensarten und provokante Bemerkungen: Etwas laut zu sagen und aufgeregte und entsetzte Reaktionen zu bekommen, wird als lustvoll erlebt. Versuchen Sie, ruhig zu bleiben und das als Teil der Entwicklung Ihres Kindes zu sehen.2

Wenn Sie etwas nicht mögen oder Ihnen Fragen zu persönlich sind, können Sie das Ihrem Kind ruhig sagen. Beantworten Sie Fragen in diesem Fall dann zB auf einer allgemeinen Ebene. Sie müssen auch nicht immer alles wissen! Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie nachschauen oder schauen Sie gemeinsam nach! Wichtig ist nur, dass Sie Ihrem Kind zuverlässig Antworten geben, damit es weiß, dass es sich immer an Sie wenden kann. Durch das Beantworten der Fragen sind Kinder auf die Veränderungen, die auf sie zukommen, gut und rechtzeitig vorbereitet. Ältere Kinder versuchen vermehrt, Informationen über digitale Medien zu finden. Damit Kinder und Jugendliche diese Informationen gut einschätzen können, ist das Beantworten ihrer Fragen umso wichtiger.2

Bücher
Besorgen Sie für Ihr Kind Bücher.

Informationen können auch in Form von Büchern vermittelt werden - zum alleine oder gemeinsam lesen. Stellen Sie sich mit unseren Buchtipps eine kleine Bibliothek  zusammen.

Wie stärke ich mein Kind?

Für Kinder ist es wichtig, ein positives Gefühl für ihren eigenen Körper zu entwickeln. Voraussetzung dafür ist,  dass Kinder sich selbst gut und auf vielfältige Weise spüren lernen und dabei in ihrer Wahrnehmung bestärkt und ernst genommen werden. Ermöglichen Sie ihrem Kind lustvolles Spielen, Bewegungen, Körpererfahrungen (laufen, schaukeln, klettern, Trampolin springen…). So kann Ihr Kind nicht nur ein positives Körpergefühl entwickeln. Es fällt dem Kind dadurch auch leichter, zu erkennen, was es mag und was nicht und das auch zu sagen.1 Dies ist wichtig für die Prävention von sexueller Gewalt: Was ich mag, schütze ich.3

 

Bedürfnisse & Grenzen 

wahrnehmen

Zwei Kinder spielen ausgelassen am Strand

Was macht Ihrem Kind Spaß? Welche Spiele können das Körpergefühl Ihres Kindes stärken? 

WICHTIG: Prävention vor sexuellem Missbrauch

Kinder, die gut in ihrer sexuellen Entwicklung begleitet werden, können auch leichter sexuelle Übergriffe erkennen und benennen. Umso früher Kinder aufgeklärt sind, umso besser sind sie geschützt.2,3

 

Reflexionsfrage

Bei welchen Themen fällt es mir leicht, über Sexualität aufzuklären und bei welchen tue ich mir schwer? Über welche Themen möchte ich mehr wissen?

Tipp

Wie bin ich unterstützend, wenn mein Kind homo- oder bisexuell ist?

In Volksschulalter und in weiterer Folge in der Pubertät, kann sich die sexuelle Orientierung schon dauerhaft ausbilden. Manchmal ist es im ersten Moment schwierig damit umzugehen, dass das eigene Kind anders liebt als man selbst.2

 

Hilfreich kann es sein, sich frühzeitig zu überlegen, wie man als Eltern in diesem Fall gut für sein Kind da sein könnte. Das Beste, was Sie als Eltern tun können, ist ihr Kind so anzunehmen, wie es ist. So können Sie auch ein Umfeld schaffen, indem ihr Kind genug Sicherheit für ein Coming out verspürt. Oft wählen Jugendliche zuerst ihren Freundeskreis für ihr Coming-Out. Wenn dies nicht gut verläuft, kann das sehr schwierig für die Jugendlichen sein. Mobbing und Bullying, bis hin zu dem Wunsch nicht mehr Leben zu wollen, können Folgen sein. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie als Eltern unterstützend sind. Auch in Hinblick darauf, ihr Kind in der Zukunft zu schützen, ist eine gute Beziehung zum Kind und Offenheit bezüglich verschiedener sexueller Orientierungen ein sehr wichtiger Faktor.2

TIpp

Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlt?

 

Manche Eltern fühlen sich in dieser Situation ohnmächtig oder möchten den Wunsch ihres Kindes nicht wahrhaben. Diese Gefühle zu haben, ist nicht ungewöhnlich. Eltern möchten ihr Kind vor einer Veränderung, die nicht mehr umkehrbar ist schützen. Daher kann es sinnvoll sein, dass Eltern sich Hilfe holen, um gut damit umgehen zu können. Für Kinder ist es notwendig, dass sie in ihren Wünschen und Bedürfnissen ernst genommen werden. Begleiten Sie Ihr Kind auf seinem Weg, indem Sie therapeutische und ärztliche Unterstützung sicherstellen.2

 

Exkurs: Aus rechtlicher Sicht ist es ab 16 Jahren erlaubt, körperfremde Hormone zu nehmen. Eine dauerhafte Veränderung des Körpers, beispielsweise durch eine Geschlechtsangleichung ist ab 18 Jahren möglich.2

Danke!

Wir danken den folgenden Expert*innen für ihren fachlichen Input.

 

1 Mag. Wolfgang Kostenwein, österreichisches Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie

 

2 Mag.a Gabriele Rothuber und Mag.a Martina Ruemer, Fachstelle Selbstbewusst

 

3 Mag.a Michaela Urabl, Lil* Zentrum für sexuelle Bildung, Kommunikations- und Gesundheitsförderung

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Dieser Artikel ist Teil des digitalen Aufklärungsprojekts "Alles klar?!" in Kooperation mit Hil-Foundation.

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